Kneipensterben

Das sogenannte Kneipensterben ist kein neues Phänomen. Schon seit über 30 Jahren nimmt die Zahl traditioneller Schankwirtschaften in Deutschland kontinuierlich ab – insbesondere die typischen Eckkneipen verschwinden zunehmend aus dem Stadtbild. Während Corona diesen Prozess beschleunigt hat, liegen die wahren Ursachen tiefer und sind vielfältiger. Dabei ist klar: Es haben nicht nur die Wirte oder Betreiber versagt – auch die Gäste und das veränderte Konsumverhalten tragen einen erheblichen Teil der Verantwortung.

Ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Die Gastronomie ist ein Spiegel der Gesellschaft. Wer sich heute beklagt, dass es keine „echten“ Kneipen mehr gebe, sollte sich selbst hinterfragen: Wer regelmäßig online bestellt, statt im stationären Handel zu kaufen, oder lieber zuhause trinkt, statt in die Wirtschaft zu gehen, trägt ebenfalls zum Strukturwandel bei. Wirtschaftlicher Druck, neue Lebensstile und fehlende Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen, setzen die Branche zusätzlich unter Druck.

Die Entwicklung ist also nicht allein eine betriebswirtschaftliche Herausforderung für Gastronomen – sie ist ein kulturelles und gesellschaftliches Thema. Nur mit realistischer Selbstreflexion und ehrlichem Konsumverhalten lässt sich das Sterben traditioneller Treffpunkte vielleicht verlangsamen – ganz aufhalten wird es sich kaum.

Früher tragfähig – heute kaum überlebensfähig

Früher war das Geschäftsmodell vieler Kneipen auf einfachere Strukturen aufgebaut:

  • Die Wirte besaßen oft das Gebäude selbst oder zahlten geringe Pacht.
  • Die Gäste erwarteten kein aufwendiges Essen, sondern einfache Getränke in geselliger Atmosphäre.
  • Familienmitglieder arbeiteten häufig mit – das senkte die Lohnkosten.
  • Arbeitszeiten von 14 bis 16 Stunden täglich waren für viele Betreiber selbstverständlich.

Heute hat sich das Bild grundlegend verändert:

  • Das Freizeitverhalten hat sich gewandelt: Streamingdienste, Fitnessstudios oder Individualreisen ersetzen den Kneipenabend.
  • Es herrscht akuter Personalmangel in der Gastronomie – insbesondere bei Köchen und Servicekräften.
  • Die Ansprüche der Gäste sind gestiegen: Sauberkeit, gute Küche, Servicequalität und barrierefreie Zugänge werden erwartet.
  • Gleichzeitig sind gesetzliche Anforderungen verschärft worden – etwa in Bezug auf Kassensysteme, Lohnabrechnung, Hygiene und Brandschutz.
  • Viele Betriebe zahlen heute hohe Pachten, weil das Eigentum nicht mehr in der Hand der Betreiber liegt.

Der Blick auf die Zahlen

Ein Blick auf die Statistik verdeutlicht das Ausmaß:
Allein zwischen 2001 und 2010 sank die Zahl der Schankwirtschaften bundesweit um etwa 25 % – von rund 48.000 auf 36.000 Betriebe. In Hamburg verschwanden in diesem Zeitraum sogar 48 % der Kneipen, in Niedersachsen 41 %. In Bayern musste rund ein Viertel der Betriebe aufgeben. Besonders dramatisch ist die Lage in ländlichen Regionen: 2010 verfügte in Bayern bereits jede dritte Gemeinde über keine einzige Kneipe mehr.